Integral

Eine Landkarte für „Alles“

Was Es Ist

Eine essenzielle Landkarte, die dabei hilft, die Wirklichkeit besser zu navigieren.

„Nobody is smart enough

to be wrong all the time.“

– Ken Wilber

Ken Wilber

Integrale Theorie – AQAL

Man kann den integralen Ansatz, bzw. AQAL (sprich:„ah-kwal“), als eine Antwort auf eine sehr voraussetzungsreiche Frage verstehen. Die Frage(n), auf die AQAL eine Antwort darstellt könnte(n) etwa folgendermassen formuliert werden:

Wie können aufrichtige Männer und Frauen, die unterschiedliche Disziplinen, Methodologien und Erkenntnisweisen praktizieren, nicht nur alle recht haben – wie kann darüber hinaus der Zusammenhang der von ihnen hervorgebrachten Wahrheiten in ein kohärentes Ganzes gebracht werden, das mehr ist als die bloße Summe der Einzelperspektiven?

oder – frei nach Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“: „Was ist der Zusammenhang von Leben, Universum und dem ganzen Rest?“

Wilbers Antwort darauf ist „AQAL“. Die Abkürzung „AQAL“ steht für „alle Quadranten, alle Ebenen, Linien, Zustände und Typen„, welches zugleich die Hauptkomponenten der Integralen Theorie sind.  

Die „Quadranten“ verweisen uns auf die grundlegenden Perspektiven des In-der-Welt-Seins, die in jedem Augenblick gegenwärtig sind „1. Person, 2. Person, 3. Person“, oder „Ich, Wir, Es“, oder „Ästhetik, Moral, Wissenschaft“, oder das „Schöne, Gute, Wahre“.  Wenn wir diese Perspektiven systematisch in unser Tun mit einbeziehen erweitert diese Sicht unseren geistigen Horizont grundlegend, indem es uns auf die Dimensionen aufmerksam macht, die wir übersehen. 

„Ebenen“ bezieht sich auf die Tatsache, dass sich der gesamte Kosmos entwickelt – auch unsere Innerlichkeit als Menschen durchläuft gewisse Stufen, wie sie in psychologischen Entwicklungsmodellen (z.B. von Piaget, Maslow, Loevinger oder Graves / Spiral Dynamics) beschrieben werden.

Menschen entwickeln sich nicht auf einer eindimensionalen Skala, woran uns die Komponente Linien erinnert: wir alle haben multiple Intelligenzen, multiple Linien der Entwicklung, kognitiv, emotional, kinästhetisch, künstlerisch, spirituell, etc. deren Schwerpunkte unterschiedlich verteilt sein können, was ein komplexes Psychogramm ergibt.

 

Neben permanenten Errungenschaften der Psyche (Ebenen) gibt es zusätzlich veränderte Zustände des Bewusstseins, die wesentlich flüchtiger und flüssiger sind. Dies umfasst die drei großen natürlichen Zustände wie Wachzustand, Traumzustand und Tiefschlafzustand, aber auch veränderte Zustände wie Gipfelerfahrungen, Flow oder meditative Zustände.  

Das Element Typen schliesslich wird der Tatsache gerecht, dass es wiederkehrende Unterschiede und ‚kosmische Gewohnheiten‘ gibt die auf allen Ebenen auftauchen. Darunter fällt die grundlegende Unterscheidung „männlich/ weiblich“ aber auch andere Typologien, wie das Enneagramm, die Temperamente, die Myers-Briggs Typologie, etc.  

AQAL Chart von Steve Self Übersicht über das Integrale Modell (AQAL)

© Steve Self

Alles in allem erinnert uns AQAL in allem was wir tun an diese 5 grundlegenden Dimensionen der Wirklichkeit und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Aspekte, die uns bisher unbewusst waren, so dass wir mit einer umfassenderen Landkarte geschickter das Terrain der Wirklichkeit navigieren können.

Glossar

Eine grafische ansprechende Übersicht der 5 Elemente der integralen Theorie ist in einfachen Worten in dem Glossar zusammengefasst, das ich mit Michael Habecker und Ines Seidel für das Integrale Forum erstellt habe. 

GLOSSAR DOWNLOAD (PDF)

Mein Weg

Ich war 22 als ich im Jahr 2000 zum ersten Mal ein Buch von Ken Wilber in die Hand bekam. Ich war bis dato bereits ein wissbegieriger und philosophisch interessierter Mensch, hatte dies und das gelesen, aber war insgesamt noch recht desorientiert. Ich hatte viele Bruchstücke und Wissensbausteine aufgesogen, die alle irgendwie sinnvoll und in sich schlüssig erschienen, doch ich wusste nicht so recht, wie alles zusammenpasste und vor allem, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich driftete haltlos umher in meiner „aperspektivischen Verwirrtheit“, von der er ich später lernen sollte, dass sie nicht untypisch für eine gewisse Ebene der Entwicklung ist.

Ken Wilber, ein zeitgenössischer amerikanischer Philosoph, ist der Schöpfer des integralen Ansatzes  – einer (r)evolutionären Synthese des Wissens aus allen möglichen Disziplinen in Form einer essenziellen Landkarte, die er oftmals mit dem Akronym A.Q.A.L. abkürzt. Er folgte dabei der Devise, „Niemand ist schlau genug, um sich ständig zu irren“. Folglich musste jeder immer auch ein Teil einer größeren Wahrheit in Händen halten. Er „wahrte“ diese Einsichten und reihte die gesammelten Perlen des Wissens aus einer Vielzahl von Disziplinen auf eine Perlenkette auf. Vereinfacht gesagt ist sein Integraler Ansatz die Sicht aus 10 Kilometern Höhe: man erkennt die einzelnen Bäume nicht mehr, aber man sieht, wo die wichtigsten Wälder stehen. Wer jemals Google Maps benutzt hat, weiß dass eine gute Landkarte entscheidend ist, wenn man sich orientieren möchte. Eine gute Landkarte zeigt nicht zuviel und nicht zuwenig Information – sie beschränkt sich auf das Essenzielle.

Die Wirkung meiner ersten Begegnung mit der Integralen Theorie kann ich im Rückblick nicht anders beschreiben als eine Art ‚kognitiven Orgasmus’ – alles Wissen, was ich angehäuft hatte, kristallisiert sich in meinem Kopf schlagartig in Form einer zusammenhängenden Gestalt. Mir gingen tausend Lichter gleichzeitig auf, es war eine hochgradig ekstatische Erfahrung, die mich nicht nur mental, sondern auch körperlich und seelisch tiefgreifend umkrempelte. Ich hatte endlich meine Bestimmung gefunden, bzw. sie hatte mich gefunden: Räume schaffen für Integrales Bewusstsein.

Und das habe ich seitdem getan. Als erstes gründete ich einen integralen Studienkreis an der Universität zwecks Austausch mit Interessierten und parallel dazu eine experimentelle integrale Jugendgruppe, „iMove“ (sie existiert zu meiner Freude noch heute). Ich schloss mich dem überregionalen Netzwerk „Arbeitskreis Ken Wilber“ an, für welches ich nach der Umbenennung in „Integrales Forum e.V.“ fünf Jahre als Geschäftsführer tätig sein durfte. Im Anschluss rief ich 2014 mit einem ungarischen Kollegen die Integral European Conference ins Leben, die seitdem alle zwei Jahre hunderte Menschen aus aller Welt anzieht (rund 600 aus über 35 Ländern in 2018).

2006 absolvierte ich ein dreimonatiges Voluntariat am Integral-Institute von Ken Wilber in Boulder, Colorado. Mein Traum, Ken mal persönlich zu begegnen und ihm für seine Arbeit zu danken, ging in Erfüllung. Das ist ungefähr so, als wenn man Hegel oder Albert Einstein die Hand schütteln darf – nur cooler. 

Integral European Conference (IEC)

2012 habe ich im Anschluss an die Konferenz des Integralen Forums in Berlin Vertreter integraler Bewegungen aus ganz Europa unter dem Stichwort „Integral Europe“ eingeladen.

Das wichtigste Resultat dieser Zusammenkunft war, dass ich mit meinem ungarischen Kollegen Bence Ganti im Mai 2014 und 2016 die europäische integrale Konferenz (IEC) ins Leben gerufen und organisiert habe. Bence hat die Leitung mittlerweile übernommen und führt die Konferenz mit Erfolg weiter. 

Integral European Conference 2014

Andere integrale Denker

„Nichts ist kraftvoller als eine Idee,

deren Zeit gekommen ist.“

– Victor Hugo

Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Verwendungsweise, die Ken Wilber in seiner integralen Theorie (auch „AQAL“ genannt) so schön formuliert hat. Aber es gibt auch andere Quellen, wie Jean Gebser, Clare Graves oder Don Beck. Diese haben mit „integral“ eine bestimmte Ebene oder Struktur des menschlichen Bewusstseins bezeichnet. 

Metamodernismus

Eine aktuelle ‚integrale‘ Geistesströmung ist der Metamodernismus, der u.a. informiert durch Wilbers Theorie, eine gesellschaftspolitische Stoßrichtung hat. Ein Beispiel dafür sind Denker wie Hanzi Freinacht und sein Buch „The Listening Society“ oder Tomas Björkmann mit seinem Buch „The World We Create“. Sie stützen sich stark auf den Gedanken der Entwicklungsebenen in ihrer Analyse der gegenwärtigen Situation. 

Merkmale des integralen Bewusstseins

Sowohl Gebser, Graves/ Beck und Wilber sind sich über diese Punkte einig:

„integral“ impliziert:

  • Eine Fähigkeit unterschiedliche Perspektiven, Denk- oder Wertesysteme in einen Gesamtzusammenhang zu bringen, der eine Entwicklungslogik und eine Reihenfolge erkennbar werden läßt
  • Eine Fähigkeit die vorangegangen Perspektiven, Denk- oder Wertesysteme auf ihre eigene Weise zu schätzen, ihre Vorteile zu nutzen und ihre Nachteile zu umgehen
  • Einen dramatischer Wegfall von Angst
  • Eine Öffnung für eine besondere Form von Spiritualität, die über das (Prä-) Personale herausgeht – zusammen mit einer weiteren Reduktion des Egozentrismus
  • Eine neuartige Wachheit, Präsenz und Gegenwärtigkeit die sich in der körperlichen Haltung wiederspiegelt

Ein integraler Pionier: Jean Gebser

Der Philosoph, Dichter und Kulturanthropologe Jean Gebser ist als integraler Pionier zu nennen, der als einer der ersten die Verwendung des Begriffs in Bezug auf eine Struktur des menschlichen Bewusstseins prägte. In seiner vielzitierten Abfolge der Bewusstseinsstrukturen von archaisch zu magisch zu mythisch zu mental-rational zu aperspektivisch-integral beschrieb er in seinem Hauptwerk „Ursprung und Gegenwart“ (1947/48) eine zunehmende Differenzierung und Integration der Weisen, wie Menschen kulturell Sinn bilden.

Er beschrieb die effizienten und defizienten Ausdrucksformen einer jeden Struktur und war der Auffassung, dass sich inmitten der defizienten Exzesse der mental-rationalen Struktur im 20. Jahrhundert Keime des Neuen fanden, Keime eines Bewusstseins, das in der Lage ist, viele Perspektiven gleichzeitig zu halten („aperspektivisch“), ohne dass sie in ein Spiegelkabinett der Ansichten zersplittern („integral“). Seine Arbeit gilt im integralen Feld auch heute noch als wegweisend.